Art. 394 ff. OR. Die fehlende ärztliche Aufklärung kann durch eine hypothetische Einwilligung des Patienten geheilt werden.
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Die Klägerin zog sich anlässlich eines Sturzes eine Radiusfraktur an der linken Hand zu. Sie wurde vom Beklagten (Spezialist für orthopädische Chirurgie) operiert. Der Beklagte verletzte dabei einen Nerv. Der von der Haftpflichtversicherung des Beklagten beauftragte Privatgutachter Prof.Dr.med. X. attestierte der Klägerin eine teilweise Arbeitsunfähigkeit. Die Klägerin forderte vom Beklagten eine Entschädigung für den Haushaltsführungsschaden sowie eine Genugtuung. Das Amtsgericht und das Obergericht wiesen die Klage ab.
Aus den Erwägungen:
4.- Streitig ist, ob der Beklagte seine Aufklärungspflicht verletzt hat nicht.
4.1. Nach konstanter bundesgerichtlicher Rechtsprechung stellt ein chirurgischer Ein-griff, wie er an der Klägerin vorgenommen wurde, einen Eingriff in die körperliche Integrität dar, der als Verletzung eines absoluten Rechtsgutes gilt, sofern er nicht durch einen Recht-fertigungsgrund gedeckt ist. Der wichtigste Rechtfertigungsgrund ist die Einwilligung der be-troffenen Person. Eine gültige Einwilligung setzt voraus, dass die Patientin der Patient über Inhalt, Folgen und Risiken der medizinischen Massnahme hinreichend aufgeklärt wor-den ist (BGE vom 28.4.2003 S. 7 E. 4.1 [4P.265/2002]; BGE 119 II 458 E. 2a = Pra 84 Nr. 72 S. 235; 117 Ib 200). Der Arzt hat die gehörige Aufklärung und Einwilligung des Patienten zu beweisen (BGE 117 Ib 202). Wenn er ohne Information und Einwilligung des Patienten ope-riert, handelt er rechtswidrig und ist zum Ersatz allen Schadens aus dem totalen partiel-len Misserfolg der Operation verpflichtet, auch wenn ihm keine Sorgfaltspflichtverletzung vorgeworfen werden kann (BGE vom 28.4.2003 S. 7 E. 4.1 [4P.265/2002]; BGE 108 II 58 ff. = Pra 71, 1982, Nr. 122 S. 300 f.; BVR 2003 S. 29 E. 6a; Antoine Roggo, Aufklärung des Patienten, Bern 2002, S. 85; Monika Gattiker, Die Widerrechtlichkeit des ärztlichen Eingriffs nach schweizerischem Zivilrecht, Zürich 1999, S.178 f.). (¿)
Unbestritten geht aus der Krankengeschichte nicht hervor, dass der Beklagte die Klä-gerin über die Operation aufgeklärt hat. Ohnehin würde nur ein ausführlicher Hinweis mit Angaben u.a. zu Ort und Zeit der Aufklärung, stichwortartige Zusammenfassung des Ge-sprächs etc. Beweis für eine genügende Aufklärung schaffen (Wolfgang Wiegand, Die Auf-klärungspflicht und die Folgen ihrer Verletzung, in: Handbuch des Arztrechts, Zürich 1994, S. 152 und 199 f.; Roggo, a.a.O., S. 211 f.; BGE 117 Ib 205 E. 3c). Zum Vornherein unbe-helflich ist daher der Hinweis des Beklagten auf die Eintragung in der Krankengeschichte vom 19. Januar 1996, worin er festhielt: "Wir beschliessen deshalb die nochmalige geschlos-sene Reposition der Fraktur mittels Minifixateur extern". Fest steht, dass Dr.med. Y. bereits 1990 die gleiche Operation am rechten Handgelenk der Klägerin vorgenommen hat. Sie dürf-te daher zumindest hinsichtlich Art und Folgen des medizinischen Eingriffs ein gewisses Vorwissen gehabt haben, weshalb der Beklagte diesbezüglich nicht in allen Einzelheiten informieren musste (BGE 117 Ib 204). Ob sie damals aber auch Kenntnis von den mit dem Eingriff verbundenen Risiken insbesondere der Möglichkeit einer Nervenverletzung hatte, die nach Auffassung des Gutachters zwar eher gering ist, aber immer besteht und jedem erfah-renen orthopädischen Chirurgen bekannt ist, ist unklar, bestreitet doch die Klägerin eine ge-hörige Aufklärung durch Dr. Y. Immerhin ergibt sich aus den Vorbringen des Beklagten, dass er selbst seine Patientin auf das Risiko einer Nervenverletzung nicht hingewiesen hat. Wie es sich mit der Risikoaufklärung im vorliegenden Fall verhält, mag indessen dahingestellt bleiben, ist doch mit der Vorinstanz davon auszugehen, dass sich der Beklagte auf hypothe-tische Einwilligung der Klägerin berufen kann, weshalb auch auf die Einvernahme von Dr. Y. verzichtet werden kann.
4.2. Liegt keine Einwilligung des Patienten vor, ist der Arzt beweispflichtig, dass der Patient auch eingewilligt hätte, wenn er über die Risiken aufgeklärt worden wäre. Der Beweis dafür obliegt dem Arzt, wobei bei der Beurteilung der Hypothese nicht darauf abzustellen ist, ob eine vernünftige besonnene Patientin bzw. ein Patient nach erfolgter Aufklärung die Ein-willigung verweigert hätte. Massgebend ist mit Blick auf das Selbstbestimmungsrecht viel-mehr, wie sich die in Frage stehende Person unter den konkreten Umständen verhalten hät-te. Vom Patienten kann verlangt werden, dass er glaubhaft macht zumindest behauptet, weshalb er auch bei gehöriger Aufklärung die Einwilligung zur Vornahme des Eingriffs ver-weigert hätte. Im Falle fehlender Mitwirkung kann nach objektiviertem Massstab darauf ab-gestellt werden, ob die Ablehnung des Eingriffs vom Standpunkt eines vernünftigen Patien-ten aus unverständlich gewesen wäre (BGE vom 10.10.2002 S. 3 E. 3.1 [4P.139/2002]; BGE 117 Ib 209; Pra 2000 Nr. 28 S. 167 f.; BVR 2003 S. 59). Die hypothetische Einwilligung darf nicht leichthin angenommen werden. In der Doktrin werden als Kriterien genannt zeitliche und sachliche Dringlichkeit des Eingriffs, die vitale Indikation für den Eingriff sowie das Feh-len einer ernsthaft in Betracht kommenden, erfolgversprechenden Alternativbehandlung (BVR 2003 S. 60 E. 6c). Die betroffene Person hat glaubhaft darzulegen, dass sie sich bei gehöriger Aufklärung in einem echten Entscheidungskonflikt befunden hätte (Gattiker, a.a.O., S. 174; Robert Geisseler, Aufklärungspflicht des Arztes, in: Haftpflicht - und Versicherungs-rechtstagung 1995, S. 171; BVR 2003 S. 62).
4.2.1. Nach Auffassung der Vorinstanz entspricht es allgemeiner Lebenserfahrung, dass die Klägerin angesichts des Erfolgs der ersten Operation am rechten Arm auch in jene des linken Arms eingewilligt hätte. Die Klägerin macht dagegen geltend, sie habe nicht ge-wusst, welche Gefahr diese Operation beinhalte. Dr. Y. habe sie darüber nicht aufgeklärt. Hätte sie damals schon gewusst, dass die Gefahr einer bleibenden Nervenverletzung beste-he, hätte sie dem Eingriff nicht zugestimmt. Hätte sie weiter gewusst, dass die konventionelle Methode (Gipsverband usw.) quasi gleichwertig mit der operativen Methode sei, dafür aber keine Operationsgefahren bestünden, hätte sie bei korrekter Aufklärung einem Eingriff nicht zugestimmt.
4.2.2. Wie erwähnt, steht fest und ist unbestritten, dass Dr.med. Y. 1990 erfolgreich die gleiche Operation bei der Klägerin vorgenommen hat wie der Beklagte am 23. Januar 1996. Streitig ist dagegen insbesondere, ob die Klägerin damals über das mit dem Eingriff verbun-dene Risiko einer Nervenverletzung aufgeklärt worden war. Dies mag hier indessen dahin-gestellt bleiben. Entscheidend für die Annahme hypothetischer Einwilligung sind die objekti-ven und subjektiven Umstände, die Anlass für den streitigen Eingriff waren (Geisseler, a.a.O., S. 170). Im vorliegenden Fall sprechen für hypothetische Einwilligung, dass der Ein-griff wegen der Gefahr einer weiteren Verschiebung des gebrochenen Knochens bzw. einer Fehlstellung zeitlich und sachlich relativ dringlich war. So wurde die Klägerin denn auch un-bestritten als Notfall zur Operation in der Klinik Z. angemeldet. Zudem ist davon auszugehen, dass es an einer ernsthaft in Betracht kommenden erfolgversprechenden Alternativbehand-lung fehlte. Es zeigte sich, dass die am 14. Januar 1996 vorgenommene Gipsfixation den Bruch nicht zu stabilisieren vermochte. Der Hausarzt überwies die Klägerin in der Folge an den Beklagten als Spezialist für orthopädische Chirurgie. Der Beklagte untersuchte die Klä-gerin am 16. Januar 1996, und hielt fest, obwohl eine kleine Trümmerzone mit Einstauchung bestehe und die physiologisch 10 Grad volare Kippung nicht erreicht werde, glaube er, dass wenn die Repositionsstellung gehalten werden könne, ein durchaus gutes Resultat in Aus-sicht stehe. Die Fraktur bedürfe der engen radiologischen Kontrollen und je nach Verlauf eben doch einer Retention mittels Minifixateur externe. Daraus geht hervor, dass der Beklag-te durchaus zuerst eine konservative Behandlung der distalen Radiusfraktur anstrebte. Die am 19. Januar 1996 erfolgte radiologische Kontrolle zeigte einen mässigen Repositionsver-lust, weil die dorsale Stauchungszone zu wenig stabil war. Dadurch kam es zu einem deutli-chen Einsinken des Radiusstylloides, weshalb die geschlossene Reposition beschlossen wurde. Auch in der Krankengeschichte ihres damaligen Hausarztes ist vermerkt, dass wegen Dislokation am 23. Januar 1996 ein Fixateur externe erfolge. Damit aber steht fest, dass das Therapieziel mit der konservativen Behandlung hier nicht erreicht werden konnte, weshalb schliesslich die operative Methode in Betracht gezogen werden musste. Es ist daher mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass sich die Klägerin auch bei ge-nügender Aufklärung über das (nach dem Experten ohnehin als eher gering einzuschätzen-de) Risiko einer Verletzung des Nervus radialis superficialis zum Eingriff entschlossen hätte. Sie vermag denn auch nicht glaubhaft darzutun, dass sie bei gehöriger Aufklärung in einen Entscheidkonflikt geraten wäre bzw. sich ernsthaft die Frage gestellt hätte, ob sie ihre Einwil-ligung erteilen solle nicht (BVR 2003 S. 62 f.). Unter diesen Umständen darf auf hypo-thetische Einwilligung der Klägerin zur Operation vom 23. Januar 1996 geschlossen werden. Der Beklagte haftet somit nur, wenn er sich einer Sorgfaltspflichtverletzung schuldig gemacht hat.
I. Kammer, 14. Oktober 2003 (11 03 37)